Wissenschaftlicher Beitrag
Schätzung der Infektions- und Todesfallrate für COVID-19 anhand altersbereinigter Daten vom Ausbruch auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess
Unter Berücksichtigung der Verzögerung von der Bestätigung bis zum Tod schätzten die Autoren die Fall- und Infektionssterblichkeitsraten (CFR, IFR) für die Coronavirus-Erkrankung (COVID-19) auf dem Schiff Diamond Princess auf 2,6 % (95 % Konfidenzintervall (CI): 0,89-6,7) bzw. 1,3 % (95 % CI: 0,38-3,6).
Für den Hinweis danken wir Dr. Peter F. Mayer.
Auf den Punkt
Diese Studie zeigt, wie schwer es ist, epidemiologische Parameter für eine Viruserkrankung wie Covid-19 zu ermitteln. Die errechnete CFR und IFR des Covid-19-Ausbruchs auf der Diamond Princess weicht deutlich von der CFR und IFR anderer großer Studien, welche zu diesem Zeitraum in China durchgeführt wurden, ab. Des Weiteren zeigt die Studie die Wichtigkeit, in real-time Schätzungen der CFR den sogenannten confirmation-to-death-Effekt (siehe Glossar) miteinzubeziehen. Schließlich weist die Studie auf, dass die Kombination von Datensätzen verschiedener Studien sehr wichtig ist, um Einblicke in den Covid-19 Schweregrad zu erhalten.
cCFR dieser Studie = 1.3%
Vergleich: CFR vergleichbarer Studien reichen von 0.4% bis 3.8%
Ausführlicher Beitrag
Im Februar 2020 war in den Medien die Rede von einem japanischen Kreuzfahrtschiff, der sogenannten Diamond Princess, auf welchem es einen Covid-19-Ausbruch gab (siehe Katastrophales Krisenmanagement: Wie die „Diamond Princess“ zur Todesfalle wurde - Wissen - Tagesspiegel) . Am 25. Januar hatte das Schiff in Hongkong angelegt. Dort ging ein Mensch von Board, der sechs Tage später positiv auf Covid-19 getestet wurde. In der Zwischenzeit war das Schiff jedoch schon wieder unterwegs zu seinem Heimathafen nach Yokohama. Dort angekommen, am 3. Feber 2020, stellte man das Schiff unter Quarantäne (Quarantäne begann offiziell am 5. Feber, nachdem eine Person am Schiff positiv getestet wurde) - vorausgesehen waren zwei Wochen. Personen, die in engem Kontakt mit bestätigten Fällen stunden, wurden auch länger am Schiff behalten. Diese Situation wurde anhand der beigelegten Studie genauer untersucht, ich versuche sie in eigenen Worten so verständlich wie möglich aufzubereiten.
Die Ziele der Studie sind: eine Schätzung der nCFR und nIFR anhand der Daten des Ausbruchs am Schiff zu erhalten, cCFR und cIFR unter der Berücksichtigung des confimation-to-death-Effekts zu ermitteln, als auch die errechneten naiven CFR-Schätzungen aus China mit den eigen erhobenen Daten abzugleichen.
Für den Anfang möchte ich einige wesentliche Punkte erläutern, die mir ins Auge schossen:
(*) Den Autoren ist der Begriff „confirmation-to-death“ eine Herzensangelegenheit. Damit ist die Verspätung des Zeitpunktes des Todes bis hin zum Zeitpunkt der Feststellung des Todes gemeint. Wird dieser Effekt nicht berücksichtigt, wird die CFR und IFR mit aller Wahrscheinlichkeit unterschätzt, weil eben mögliche Todesfälle in die Zählung nicht eingehen. Diesbezüglich meinen die Autoren, dass dieser Effekt in anderen Studien, welche auf die CFR und IFR abzielten, oft nur unzulänglich oder gar nicht miteinbezogen wurde.
(*) Nicht-Meldung von Fällen würde zu einer Überschätzung der CFR und IFR führen – eine Tatsache, welche die Situation am Schiff vermutlich so interessant für Wissenschaftler machte. Im Falle des Ausbruchs auf dem Schiff ist der reporting-bias (also jener Fehler, der in der Statistik auftritt, wenn Fälle nicht erfasst werden), bei hoher Durchtestungsrate, wahrscheinlich eher gering, beziehungsweise gut einschätzbar.
(*) Allerdings: die Kriterien für die Entlassung aus der Quarantäne waren, dass die betroffene Person eine 14-tägige Quarantäne absolvierte, ohne sich dabei eine Kabine mit einem bestätigten Fall zu teilen, als auch der Nachweis eines negativen PCR-Test-Ergebnisses. Folglich waren mit dem 20. Feber bereits über 1600 Personen aus der Quarantäne entlassen.
(*) Das Schiff wurde offiziell am 5. Feber 2020 in Quarantäne gestellt, es wurden jedoch schon vor dem 5. Feber 34 Personen mit Covid-19 assoziierten Symptomen vermerkt. Dies legt die Vermutung nahe, dass bereits vor der Quarantäne und der am Schiff ausgeübten Sicherheitsmaßnahmen, eine signifikante Transmission stattgefunden hat.
(*) Die Transmission hat, ab dem Zeitpunkt der Quarantäne, vermutlich zu einem guten Teil in den Kabinen stattgefunden. Eine Sicherheitsmaßnahme war es, die Bewegung am Schiff zu beschränken und die Insassen hauptsächlich in den Kabinen unterzubringen.
(*) Die Quarantäne wurde 11 Tage nachdem die Person, welche in Hongkong an Land ging und 6 Tage danach positiv getestet wurde, aktiv. Die Inkubationszeit des Virus beträgt im Mittel 5,8 Tage (Quelle RKI), auch schon während dieser Zeit kann das Virus weitergegeben werden. Daher ist die Annahme, dass diese Person bereits am Schiff infiziert wurde, nicht unwahrscheinlich.
(*) Die vier vorangegangen Punkte verdeutlichen, dass die Quarantäne eine weitere Transmission vermutlich einbremste, der Ausbruch jedoch wahrscheinlich davor begann.
Weiter im Text: Insgesamt waren 3711 Menschen (Passagiere plus Besatzung) am Schiff. Aus zwei in der Studie genannten Quellen, geht hervor, dass man bis zum 20. Februar 2020 insgesamt 619 bestätigte Fälle zählte, anhand einer anderen Quelle, waren es bis zum 5. März 2020 insgesamt 696 bestätigte Fälle. Die Relation zwischen symptomatischen und asymptomatischen Fällen, wurde anhand der ersten beiden Quellen erhoben und ergab für die 619 bestätigten Fälle insgesamt 318 asymptomatische Fälle und 301 symptomatische Fälle. 7 Todesfälle wurden verzeichnet, das Alter lag immer bei über 70 Jahren. Es wurden 3063 PCR-Tests (doppelte Tests inkludiert) durchgeführt, angefangen bei den Älteren. Die Formel zur Berücksichtigung des confirmation-to-death-Effekts wurde aus einer Studie über die Influenzapandemie übernommen.
Die cIFR für alle Altersgruppen ergab nun 1.3%, die cCFR für alle Altersgruppen 2.6%, was bedeutet, dass pro 100 Infizierter 1,3 Personen und pro 100 Erkrankter 2,6 Personen versterben sollten.
Das ist das Ergebnis der Daten des Ausbruchs auf der Diamond Princess. In den folgenden Schritten vergleichen die Autoren ihre Ergebnisse mit jenen Ergebnissen anderer Studien, welche in Wuhan, China durchgeführt wurden - sie gleichen die Daten mithilfe statistischer Methoden ab. Zusammenfassend kann man diesbezüglich sagen, dass es eine Streuung der Ergebnisse gibt. So reichen die Errechnungen der CFR von 0.4 % bis 3.8%, basierend auf den Erkenntnissen aus Metaanalysen.
Fazit
Mein persönliches Fazit ist, dass man, unter Berücksichtigung der von mir oben genannten Punkte, mit dieser Studie ein aussagekräftiges Studiensetting gewählt hat, um den Schweregrad der Covid-19-Erkrankung einzuschätzen. Jedoch ist auch erkenntlich, wie viele Schwierigkeiten bei der Erhebung solcher Parameter entstehen und wie verschiedene Studiensettings auch unterschiedliche Ergebnisse liefern.